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Montag, 26. Mai 2014

Alles easy!?

Ganz ehrlich? Ich hätte nicht gedacht, dass mein Gespräch mit der Ärztin heute Morgen so entspannt verlaufen würde. Irgendwo und mit irgendetwas würde es bestimmt ein Problem geben, und leider könne man mir keinen Rollstuhl verordnen, befürchtete ich. Aber das war überhaupt nicht der Fall. Als ich zur Tür heraus ging, war ich erst einmal ein wenig verdutzt und positiv überrascht. Denn die Ärztin hat die drei Verordnungen, um die Thomas gebeten hatte, anstandslos erstellt und sie mir mitgegeben. Und ein, zwei Tipps zur Beantragung des Stuhls bei der Krankenkasse und zu meiner geplanten Reha habe ich auch noch von ihr bekommen. Besser hätte es also kaum laufen können!

Ich bin sehr froh, dass wir jetzt Nägel mit Köpfen machen und es ist gut zu wissen, dass ich bei Thomas in so guten Händen bin. Darüber hinaus bin ich erleichtert, dass ich in Zukunft auf einen fahrbaren Untersatz zurückgreifen kann, wenn es für die Beine zuviel wird. Außerdem ist es mir unangenehm und peinlich, wenn mir die Leute wegen meines Gehfehlers hinterherschauen. Für meine Erkrankung und die mit ihr verbundenen Beschwerden brauche ich mich nicht zu schämen, klar. Trotzdem ist es ein komisches Gefühl, wenn sich in der Fußgängerzone Passanten nach mir umdrehen.

Am Freitagmittag werde ich wieder zu Thomas fahren. Ich möchte mir gerne die Stühle anschauen, die gerade da sind. Und selbst dann, wenn wie am Donnerstag lediglich der Avantgarde und der Sopur Helium da sein sollten, möchte ich zumindest mit diesen beiden eine kleine Runde drehen. Am besten zuerst auf dem glatten Hallenboden und dann draußen unter freiem Himmel. Denn einen Rolli zu ordern, ohne ihn vorher Probe zu fahren, ist so ziemlich der größte Fehler, den man als Anfänger begehen kann. Das weiß sogar ich. Zusätzlich möchte ich mich informieren, welche Aufzahlung ich für welchen Stuhl zu leisten hätte. Obwohl ich ehrlich gestehen muss, dass der Sopur Helium ein toller Stuhl ist und mir richtig gut gefällt. Der wäre mir auf jeden Fall ein paar Mark wert.

So wie heute darf es jedenfalls gerne weitergehen!

Freitag, 23. Mai 2014

Ein Gaul muss her!

In den letzten Tagen habe ich mir nochmal ein paar Gedanken gemacht und habe überlegt, ob die Entscheidung, die ich getroffen habe, richtig ist. Aber je mehr ich darüber nachdenke und je intensiver ich die Pro- und Contra-Argumente gegeneinander abwiege, desto sicherer gelange ich zu der Überzeugung, dass mein Entschluss richtig und begründet ist und dass es eigentlich gar nicht so viele Contras gibt.

Ich finde: Der Ralle braucht einen Gaul! Und zwar nicht so einen fußlahmen wie die, die ich neulich in Heidelberg auf der Station geritten bin und die man alle drei Meter ermahnen muss, die Spur zu halten. Nein, es soll ein richtig flotter und auf mich und meine Körpermaße angepasster Gaul sein.

Gerade vorgestern, als ich mit Sam spazieren war, ist es mir wieder aufgefallen. Ich komme beim Laufen manchmal kaum einen Schritt voran und es fällt mir schwer, das rechte Bein anzuheben und einigermaßen zügig ein Bein vor das andere zu setzen. Meistens bin ich die ersten paar Minuten ganz gut unterwegs und merke dann nach ca. einer halben Stunde, dass mein Tempo und die Koordination langsamer bzw. schlechter werden. Aber vorgestern kam es mir vom ersten Schritt an so vor, als hätte ich Pudding in den Beinen. Und zwar in beiden, nicht nur im rechten. Wir waren rund 45 Minuten unterwegs, aber richtig weit kamen wir nicht. Damit habe ich mich inzwischen abgefunden, das kann ich akzeptieren. Was ich jedoch nicht akzeptieren möchte sind die körperlichen Probleme, die ich beim Gehen habe. Als ich anfing, das Pramipexol zu nehmen, hatte ich nach recht kurzer Zeit den Eindruck, als wäre mein Gangbild ein klein wenig besser geworden. Aber das war einmal. Mittlerweile ist es wieder genauso schlecht wie die letzten eineinhalb Jahre vor der Medikation auch. Vielleicht bessert es sich ja noch ein wenig, wenn ich die Dosis weiter steigere, wer weiß. Eines habe ich mir jedenfalls geschworen: Eine Situation wie die neulich in Heidelberg, als mich bei meinem Sonntagsspaziergang auf dem Rückweg zur Klinik ein paar hundert Meter vor dem Ziel plötzlich die Kräfte verlassen haben und ich kurz davor war, um Hilfe bitten zu müssen, wird es so nicht mehr geben! Außerdem möchte ich auch in Zukunft so mobil wie möglich bleiben und z.B. einen Spaziergang nicht deswegen ablehnen müssen, weil ich befürchte, unterwegs schlapp zu machen.

Deshalb habe ich gestern kurzentschlossen Sandra und Thomas besucht, die in einer Filiale eines Reha-Fachhandels arbeiten und beide selbst im Rolli sitzen. Von Sandra habe ich ja schon geschrieben. Sie ist in dieser Niederlassung für die Beratung und Versorgung bestimmter Inkontinenzpatienten zuständig. Thomas sitzt aufgrund einer Querschnittlähmung in seinem schicken Gefährt und kennt sich Sandra zufolge richtig gut mit Rollstühlen und deren Anpassung aus. Das kann ich seit gestern absolut bestätigen! Für halb Fünf hatte er sich etwas Zeit eingeplant und mich dann ungefähr eine Stunde lang über verschiedene Rollstühle und deren Ausstattungsmöglichkeiten sowie über die Abwicklung mit der Krankenkasse beraten. Probesitzen konnte ich in einem Avantgarde von Otto Bock und in Thomas´ eigenem Stuhl, einem Sopur Helium der Firma Sunrise Medical. Der Helium ist mir bereits vor einiger Zeit im Internet aufgefallen. Recht schnell hatte ich einen sehr positiven Eindruck von diesem Stuhl und muss sagen, dass sich mein Eindruck aus der Theorie nun auch in der Praxis voll bestätigt hat. Relativ leicht, gut zu fahren, wendig, ansprechendes Design - ein schickes Teil! Und da auch Sandra in einem solchen Flitzer unterwegs ist, kann er so ungeeignet nicht sein.

Thomas hat mir empfohlen, ich solle mir vom Hausarzt zusätzlich ein elektrisches Zuggerät verordnen lassen. Wenn ich das richtig in Erinnerung behalten habe mit der Begründung, dass ich das Teil dann vor den Rolli montieren und nutzen kann, wenn meine Arm- und Schultermuskulatur mal schlapp machen sollte und eine Pause braucht.

Um zum Wesentlichen zu kommen: Für einen Helium müsste ich ca. 500 bis 600 Kröten auf den Tisch legen, der Avantgarde wäre wohl ohne wirtschaftliche Aufzahlung zu haben. Sagt Thomas. Da das Zuggerät über eine Hilfsmittelnummer verfügt, bekäme ich das wohl für umme. Heute Vormittag hat Thomas mir eine E-Mail geschrieben, welche Angaben unbedingt auf den notwendigen Verordnungen stehen sollten. Am Montag bin ich um 11 Uhr bei der Ärztin, die in der Praxis meines Hausarztes tätig ist, und werde hoffentlich mit drei Einzelverordnungen über einen Aktivrollstuhl nach Mass, ein anatomisches Sitzkissen und ein elektrisches Zuggerät nach Hause fahren. Vielleicht könnten wir dann noch vor der Reha meine Rolli-Maße ausmessen und den Stuhl von der Krankenkasse genehmigen lassen. Glück auf!

Mittwoch, 21. Mai 2014

Der Kümmelspalter im Wartestand

Mein letzter Post liegt mittlerweile schon wieder elf Tage zurück. Das hat unter anderem den Grund, dass es nichts neues gibt. Zumindest nicht von der Reha, die ich antreten soll. Und das geht mir inzwischen ziemlich auf den Zeiger!

Seit dem 24. April liegt mir nun schon der Bewilligungsbescheid der Deutschen Rentenversicherung für eine vierwöchige, stationäre Reha in Konstanz am Bodensee vor. Und noch immer habe ich von der Klinik weder etwas gehört, noch gelesen. Anfang Mai hatte ich telefonisch Kontakt mit der Belegabteilung. Man versicherte mir, ich stünde auf der Liste der Patienten, die zeitnah aufzunehmen seien. Ob man jetzt, fünf Wochen, nachdem ich in Heidelberg aus der Klinik entlassen worden bin, noch von ´zeitnah´ sprechen kann, sei mal dahingestellt.

Als meine Mutter, meine Tante und ich bei meiner Entlassung aus der Klinik am 11. April mit der Mitarbeiterin des Sozialdienstes über eine mögliche Rehabilitationsmaßnahme gesprochen haben sprach die Dame davon, dass es ratsam sei, eine solche Reha spätestens zwei bis drei Wochen nach der Klinik-Entlassung anzutreten. Das hat, wie der Kümmelspalter weiß, unter anderem den Grund, dass die positiven Auswirkungen, die die sehr guten Physiotherapie-Einheiten in Heidelberg auf mich hatten, nicht komplett verpuffen sollen. Ziel ist generell, die Wartezeiten der Patienten so kurz wie möglich zu halten, um den Schwung aus der Klinik noch etwas in die Reha mitnehmen zu können. Wie gesagt, mittlerweile sind es fünf Wochen, und ich weiß nicht, wieviel Schwung bei mir noch vorhanden ist. Ich habe mir während meines Klinkaufenthaltes zwar ein paar Übungen eingeprägt, die ich zuhause alleine machen kann. Aber in einer Reha absolviert man die Übungen eben unter Aufsicht und bekommt Tipps vom Fachmann dazu, was das Ganze somit deutlich wertvoller macht. Finde ich. Außerdem habe ich mir seit meiner Entlassung nach Hause auch keine Physiotherapie von meinem Schmerztherapeuten verordnen lassen. Denn ich musste und muss ja täglich mit Post aus Konstanz rechnen, dass ich anrücken darf. Daher wäre es nicht sinnvoll gewesen, wenn ich mir eine 6er-Verordnung hätte ausstellen lassen, von der dann nach zwei oder drei Einheiten womöglich Schluss gewesen und der Rest verfallen wäre. Wenn ich gewusst hätte, dass ich nach fünf Wochen immer noch auf Nachricht vom Bodensee warte, hätte ich natürlich längst eine Verordnung besorgt. Ich könnte wetten, dass ich dort längst ein Zimmer hätte, wenn ich privat krankenversichert wäre!

Der andere Grund, weshalb ich nun ein wenig Druck machen werde, ist der, dass mir meine Krankenkasse nur noch bis zum 2. Juni Krankengeld zahlt. Danach werde ich mich umschauen müssen, wann und wie es bei mir weitergeht. Ich möchte auf jeden Fall wieder arbeiten gehen, auch wenn es vielleicht erst einmal nur ein paar Stunden in der Woche sind. Mit 31 habe ich definitiv keine Lust, zuhause zu sitzen und die Wände anzustarren. Außerdem ist es ja auch nicht so, dass ich körperlich komplett unfähig bin. Ich finde, meine Erkrankung muss mit mir arbeiten gehen, und nicht ich mit meiner Erkrankung!

Vorgestern habe ich die Dame des Sozialdienstes in Heidelberg telefonisch informiert, dass ich noch immer kein Aufnahmedatum für Konstanz habe. Wir haben nicht lange miteinander gesprochen, aber immerhin meinte sie, sie kümmere sich darum. Schau´n mer mal!

Immerhin schlägt das Pramipexol ganz gut bei mir an. Ich bin, das gebe ich gerne zu, etwas von dem Zeitplan für die Dosissteigerung abgewichen, den ich mit meiner Neurologin erstellt hatte, und nehme schon seit Samstag dreimal täglich drei Tabletten mit jeweils 0,18 mg ein. Macht also 1,62 mg, die ich mir zurzeit pro Tag gönne. Normalerweise hatten wir diesen Schritt erst für den 21. Mai geplant. Aber da ich die Arznei bislang recht gut vertrage und auch eine leichte Besserung meiner Beschwerden wahrnehmen kann, habe ich den Termin ein wenig vorverlegt. Mit Pramipexol fällt mir das Laufen ein klein wenig leichter, und auch der Arm fühlt sich etwas freier an und schwingt beim Gehen etwas mehr mit. Und vor allem ist das Zittern meines rechten Arms beim Ausführen bestimmter Bewegungen besser geworden. Wenn ich z.B. in Bauchlage meine Bettdecke etwas nach oben ziehe, veranstaltet der Arm dabei nicht mehr ganz so viel ´Shake it, Baby!´-Spektakel.

Gestern habe ich mit meiner Neurologin telefoniert. Ich hatte ihr eine E-Mail geschrieben und um Rückruf gebeten, da ich am Sonntagabend die letzten Tabletten der 100er-Packung einnehmen werde, die sie mir Ende April verordnet hat. Wir haben vereinbart, dass sie mir eine Verordnung über 100 Tabletten à 0,18 mg und eine Verordnung über 100 Tabletten à 0,35 mg Pramipexol zuschicken wird, die ich heute Morgen zum Frühstück auch prompt aus dem Briefkasten geangelt habe. Respekt!  Pro Einzeldosis werde ich mir ab Montag einmal 0,18 mg und einmal 0,35 mg ins System schmeißen, was zusammen 0,53 mg ergibt und damit nahezu den 0,54 mg entspricht, die ich bisher als Einzeldosis nehme. Das Ganze gibt es dreimal am Tag und eignet sich gut, um sowohl die Kosten als auch die Anzahl der Tabletten zu senken, die ich tagtäglich schlucke. Wann wir dann den nächsten Schritt machen und die Dosis wieder ein wenig steigern, wird man sehen. Entweder werde ich das in Konstanz mit den Ärzten der Rehaklinik oder wieder mit meiner niedergelassenen Neurologin besprechen.

Leider haben sich bei mir neben der gewünschten Wirkung auch ein, zwei sog. unerwünschte Arzneimittelwirkungen eingestellt. Pramipexol ist z.B. dafür bekannt, dass es während der Einnahme zu sog. Schlafattacken und erhöhter Schläfrigkeit kommen kann. Es ist zwar längst nicht so, dass ich von jetzt auf gleich in den Dornröschen-Schlaf verfalle. Aber manchmal merke ich schon, dass ich auch tagsüber etwas müde werde und versuche dann, die nächsten ein, zwei Stunden etwas kürzer zu treten und mich ein wenig auszuruhen, wenn möglich. Was mir zurzeit aber deutlich mehr zu schaffen macht ist mein Gedärm. Bisher waren gut gewürzte Snacks und Mahlzeiten nie ein Problem. Und ich esse auch gerne scharf. Aber seit zwei, drei Wochen muss ich gut darauf achten, was ich esse.  Es kommt mir so vor, als hätte die Arznei meinen Darm etwas sensibilisiert. Schon kleine Mengen pikanter Nahrungsmittel können in meinem Bauch ein Gluckern verursachen und dafür sorgen, dass ich viel Luft im Darm habe und Bauchschmerzen bekomme. Ich vermute, dass auch mein Reizdarm, der bei mir seit einigen Jahren bekannt ist, da mit reinspielt. Jedenfalls kann es passieren, dass ich wenige Minuten nach dem Essen einen mehr oder weniger imperativen Stuhldrang verspüre, auch wenn der Darm eigentlich leer ist oder ich kaum etwas gegessen habe. Daheim ist das nicht so dramatisch, eher etwas nervig. Unterwegs aber muss ich das nicht unbedingt haben. Mir bekannte Triggerfaktoren sind z.B. größere Mengen kohlensäurehaltiger Getränke und Zartbitterschokolade. Etwas überrascht war ich jedoch gestern, als sich mein Gedärm nach dem Verzehr einer nicht allzu großen Portion Hühnerfrikassee ziemlich heftig zu Wort meldete und ich mich den Rest des Abends mit starken Blähungen und einem flauen Gefühl in der Magengrube herumärgerte. Denn bis auf etwas Salz war das Essen eigentlich nicht weiter gewürzt gewesen.

Da ich diesen Beitrag aber mit etwas Schönem beenden möchte füge ich ein Bild ein, das ich an einem Wochenende auf dem Klinikgelände in Heidelberg aufgenommen habe. Alles wird gut!


Samstag, 10. Mai 2014

Psycho-Ralle und Aggro-Ralle

In letzter Zeit erinnere ich mich des Öfteren an das Spätjahr 2011 zurück, als alles begann. Ende November, Anfang Dezember traten die ersten Symptome und Beschwerden bei mir auf und ich wunderte mich mehr und mehr, was plötzlich mit mir los war.

Um die Schwierigkeiten verständlich zu beschreiben, die sich vor allem bei jüngeren Parkinson-Patienten bei der Diagnosefindung oftmals ergeben, hole ich etwas aus und beschreibe in diesem Post den Verlauf meiner Erkrankung von den ersten Anzeichen bis hin zur Verdachtsdiagnose ´Morbus Parkinson´ im November 2013.

Als erste Ansprechpartnerin suchte ich damals meine Hausärztin auf. Sie überprüfte z.B. die Muskulatur meines Rückens und der Arme und gab mir ein Kärtchen eines Fitnessstudios in die Hand, in dem die Kunden ihrer Meinung nach sehr gut betreut würden. Heute ist natürlich klar, dass sie nicht wirklich eine Chance hatte, die wahre Ursache meiner Probleme herauszufinden. Denn wer denkt bei einem 29-Jährigen, der wegen Schulter- und Nackenverspannungen in die Praxis kommt, schon an einen Morbus Parkinson!? Zur Senkung der erhöhten Muskelspannung hat sie mir Tetrazepam verschrieben. Davon habe ich aber, das muss ich zugeben, nie eine Tablette geschluckt. Zu groß waren meine Bedenken, dass mich das Zeug womöglich umhauen könnte.

Als die Schmerzen und meine Einschränkungen in den nächsten Wochen immer größer wurden, habe ich mich in ein Münchener Schmerzzentrum überweisen lassen, wo ich orthopädisch und neurologisch durchgecheckt wurde. Auch hier waren meine Beschwerden klar zu sehen, aber niemand konnte deren Ursache ausfindig machen. Selbst zwei MRT-Aufnahmen (Schädel und HWS/obere BWS) blieben ohne pathologischen Befund. Also überwies man mich weiter. Diesmal in eine neurologische Tagesklinik, wo weitere Tests und auch eine Lumbalpunktion durchgeführt wurden. Leider wieder mit dem selben Ergebnis: Nichts zu finden.

Daraufhin bot mir der Oberarzt, der mich dort behandelte, als quasi letzte Option an, mich in eine Tagesklinik für Schmerzdiagnostik und Schmerztherapie zu überweisen, die wenige Schritte entfernt lag und zur selben Klinikgruppe gehörte. Klinisch-neurologisch gebe es keine Untersuchungen mehr, deren Durchführung in meinem Fall noch sinnvoll sei. In der Schmerz-Tagesklinik gehe es eher darum, für mich geeignete Theapieformen auszuwählen und diese Einheiten dann regelmäßig wahrzunehmen. Angeboten wurden z.B. Entspannungsübungen, Massagen, Ergotherapie, Physiotherapie und psychologische Einzel- bzw. Gruppengespräche.

Spätestens jetzt musste ich einsehen, dass man mit einer ambulanten Schmerztherapie lediglich noch versuchen konnte, meine Schmerzen so gut wie möglich zu lindern und meine Lebensqualität somit wieder ein wenig zu verbessern. Und selbstverständlich musste ich mich fragen lassen, ob es sein konnte, dass meine Beschwerden nicht durch körperliche Probleme hervorgerufen wurden, sondern Ausdruck ungelöster psychischer Konflikte sein könnten. Eigentlich hatte ich diese Möglichkeit ziemlich weit von mir gewiesen. Es gab zwar zu dieser Zeit durchaus psychische Stressoren, mit denen ich etwas zu kämpfen hatte. Aber ich hielt mich und meine mentale Verfassung nicht für so verwundbar, als dass ich mir eine so heftige Reaktion meines Körpers hätte vorstellen können.

Nachdem ich mich in der Schmerzklinik vorgestellt und Rücksprache mit meinem damaligen Arbeitgeber gehalten hatte, nahm ich das Angebot schließlich an. Von August bis November 2012 bin ich immer mittwochs in die Klinik geradelt und habe dort die vereinbarten Anwendungen besucht. Immerhin mit dem Ergebnis, dass ich ab dem Tag, an dem ich die erste Massage erhielt, keine spannungslösenden Schmerzmittel mehr für die Schultern gebraucht habe. Der Nutzen der anderen Therapien war allerdings recht überschaubar. Ich wurde zwar unter anderem von zwei jungen und sehr netten Ergo- bzw. Physiotherapeutinnen behandelt, meine Probleme mit der Fein- und Zielmotorik des rechten Arms und der Finger der rechten Hand hatten sich nach Abschluss der Therapien Anfang November aber nicht nennenswert gebessert.

Am Abschlussgespräch, das ich mit meiner behandelnden Ärztin führte, nahm auch die Psychologin teil, mit der ich mittwochs jeweils 45 Minuten gesprochen hatte. Da alle organmedizinischen Untersuchungen ohne Ergebnis geblieben seien und da es bei mir im Verlauf der letzten Jahre scheinbar zu einigen psychischen Konfliktsituationen gekommen sei, seien sich die beiden einig, dass in meinem Fall eine sog. Dissoziative Bewegungsstörung des rechten Armes (F 44.4) vorliege. Als medizinisch-psychologische Nachsorgeempfehlungen werden im Abschlussbericht der Klinik unter anderem ein "Stationärer Aufenthalt in einer Fachklinik für Psychosomatische Medizin" und eine "Integration der erlernten Schmerzbewältigungsstrategien und der eingeübten Entspannungsmethoden in den persönlichen Ablauf des Patienten" empfohlen.

Nun saß der Ralle da in seinem Stühlchen, hörte den beiden Damen aufmerksam zu und hatte nicht wirklich ein Gegenargument, das er der Diagnose der beiden Fachfrauen entgegenbringen konnte. Obwohl er in seinem tiefsten Innern noch immer große Zweifel hatte, ob mit dieser Diagnose bereits das letzte Wort gesprochen war. Denn eigentlich hatte der Ralle schon immer ein gutes Gespür für seinen Körper gehabt und irgendetwas sagte ihm, dass dieses Abschlussgespräch unter sechs Augen noch nicht das Ende war.

Aber alles Gespür half nichts. Für den Moment hatte ich mich zu fügen und sah mich vor meinem inneren Auge schon einen mindestens sechswöchigen Aufenthalt in einer Psychosomatischen Klinik antreten. Doch mit welchen Hoffnungen und Aussichten auf Besserung würde ich in eine solche Klinik gehen, wenn seit einem Jahr sämtliche Untersuchungen und Therapien ohne Ergebnis bzw. ohne Erfolg geblieben sind? Psychologische Einzelgespräche hatte ich ja bereits während der Schmerztherapie mit einer Diplom-Psychologin geführt. Und diese Gespräche hatten unter anderem einige Ereignisse der vergangenen Jahre zum Thema, die sich möglicherweise negativ auf meine Psyche ausgewirkt haben könnten und die man im Rahmen eines stationären Aufenthalts sicher weiter hätte vertiefen können. Aber ehrlich gesagt konnte ich mir kaum vorstellen, dass ausschließlich diese psychischen Stressoren für meinen damaligen Zustand verantwortlich waren. Und falls doch, wie wollte man meinen Zustand innerhalb von sechs Wochen nachweisbar verbessern? Denn das wäre ein sehr kurzer Zeitraum, wie ich fand, um etwas zu beeinflussen, was sich (vermutlich) innerhalb von zwei, drei Jahren in meine Seele eingebrannt haben musste.

Um es einmal klar gesagt zu haben: Mir fehlte schlichtweg der Glaube, dass sich meine Beschwerden im Rahmen einer rein psychosomatischen Therapie auch nur ansatzweise gebessert hätten. Egal, wie lange und intensiv ich stationär und anschließend ambulant weitertherapiert worden wäre.

Rückblickend haben sich meine Zweifel und mein Gespür als angebracht und richtig erwiesen. Man hat, nachdem alles vieles organische überprüft und ausgeschlossen worden war, bei mir eine psychische Erkrankung diagnostiziert. Das hat mir damals sehr zu denken gegeben. Denn es ist zwar durchaus so, dass meine Psyche und mein inneres Ich manchmal etwas wankelmütig und leicht zu beeinflussen sind. Trotzdem behaupte ich von mir, dass ich innerlich relativ standhaft und gefestigt bin, wenn es darum geht, sich gegen negative und belastende äußere Einflüsse zur Wehr zu setzen. Dass aus dem Ralle nun sozusagen der Psycho-Ralle gemacht wurde, hat mich stark an mir zweifeln lassen. Natürlich ist eine psychische Erkrankung nichts, wofür man sich schämen muss oder etwas, das den Wert eines Menschen verringert. Psychisch Kranke haben weder einen ´an der Klatsche´, noch einen ´Dachschaden´. Aber ich habe mich schon gefragt, wer oder was mich seelisch womöglich so sehr belastet, dass mein Körper derart krass mit manifesten neurologischen Ausfallerscheinungen darauf reagiert.

Ich möchte den Ärzten und sonstigen Therapeuten, die mich bis zum Abschluss der Schmerztherapie untersucht und behandelt hatten, keinen Vorwurf machen. Darum geht es mir nicht. Sie haben viele Untersuchungen gewissenhaft und gründlich durchgeführt und mich gut beraten. Und sie hatten, wenn sie nichts mehr für mich tun konnten, immer gute und sinnvolle Vorschläge parat, was der jeweils nächste Schritt sein könnte. Aber es gibt da eine Frage, über die ich seit einiger Zeit nachdenke und auf die ich bislang keine Antwort gefunden habe. Eine Frage, die den Psycho-Ralle ein klein wenig zum Aggro-Ralle werden lässt. Denn ich glaube, man hätte durchaus schon früher herausfinden können, was mir wirklich fehlt.

Zur Erklärung ein kurzer Rückblick: Ende November 2012 bin ich zurück in die Pfalz gezogen und habe mir dort eine niedergelassene Neurologin gesucht. Sie hat mich regelmäßig gesehen und mir vom Frühsommer 2013 an regelmäßig Ergotherapie verordnet. Nebenher habe ich versucht, den Empfehlungen der Schmerzklinik Folge zu leisten und habe bei der Deutschen Rentenversicherung eine stationäre, psychosomatische Reha beantragt. Als zunächst die Rehamaßnahme an sich und später auch mein Widerspruch abgelehnt wurden, mussten wir uns eine neue Strategie zurechtlegen. Als eine der wenigen Möglichkeiten, die noch vorhanden waren, fiel meiner Neurologin die Kopfklinik der Universität Heidelberg ein. Zuerst war ich etwas skeptisch und glaubte nicht so recht daran, dass eines Tages doch noch irgendjemand eine organisch greifbare Ursache meiner Beschwerden finden würde. Aber im Nachhinein hat sich ihre Idee als goldener Schuss erwiesen, weshalb ich ihr (und auch den Heidelbergern) sehr dankbar bin für alles, was sie für mich getan hat bzw. haben.

Wer nun eins und eins zusammenzählt, kennt die Frage, die mich seit Mitte November 2013 beschäftigt: Wieso bedurfte es eines fähigen Oberarztes der Uniklinik Heidelberg, der mich ca. 15 Minuten untersuchte, meine Anamnese (mündliche Patienten-Vorgeschichte) erfragte und dann die Vermutung äußerte, dass es sich in meinem Fall möglicherweise um einen Morbus Parkinson handeln könnte? Klar, die Heidelberger Kliniken haben einen exzellenten Ruf und immerhin war ich in einer Spezialambulanz für Bewegungsstörungen zu Gast. Aber trotzdem kann ich mir kaum vorstellen, dass man mir in München nicht ebenso hätte weiterhelfen können. Daher frage ich mich schon, wieso mich damals niemand in die dortige Universitätsmedizin überwiesen hat, und warum auch ich selbst nicht auf die Idee gekommen bin. Erfahrene, fähige Ärzte und Dinge wie ein DAT-Scan und ein IBZM-Spect gibt es in der Weltstadt mit Herz auch, gar keine Frage.

Ich habe gehört, man nennt die Multiple Sklerose die ´Krankheit mit den 1000 Gesichtern´. Wenn die MS mit 1000 Gesichtern daherkommt, sind es beim Morbus Parkinson mindestens ein paar Hundert. Behauptet der Kümmelspalter. Denn das Problem an dieser Erkrankung ist, dass es zu Beginn häufig zu sehr unspezifischen Symptomen kommt. Dazu zählen z.B. Muskelverspannungen und Schmerzen im Bereich der Schultern und des Nackens, Haltungsinstabilitäten, eine Bewegungseinschränkung und -verarmung, schlaffe Lähmungen der Finger, Depressionen und einige andere Beschwerden. Gerade bei jungen Patienten unter 60, 70 Jahren denken Ärzte und Angehörige daher zunächst oft an andere mögliche Erkrankungen und es kommt zu Fehldiagnosen. Aus der Rheumatologie und der Orthopädie fallen mir gerade der Morbus Bechterew und der Bandscheibenvorfall ein.

Mein junges Alter war scheinbar mein persönliches Pech. Aber trotz allem habe ich nochmal Glück gehabt, denke ich. Es gibt Patienten, die viel längere und größere Ärzteodysseen hinter sich gebracht und ihre richtige Diagnose bspw. erst nach vier oder fünf Jahren erhalten haben. Das zeigt zum einen, wie wichtig es ist, die diagnostischen Möglichkeiten, die heutzutage verfügbar sind, bei Bedarf voll auszuschöpfen und im Zweifelsfall frühzeitig Spezialisten hinzuzuziehen. Zum andern zeigen Fälle wie meiner auch, dass in der Medizin nichts so unmöglich ist, wie es zunächst scheint. Diese Erfahrung habe ich nun an mir selbst gemacht.

Vielleicht kann ich mit meinem Blog ein wenig dazu beitragen, dass anderen Betroffenen solche Odysseen in Zukunft erspart bleiben und die Öffentlichkeit den Morbus Parkinson mit all seinen möglichen Erscheinungsformen nicht mehr nur als Erkrankung des gehobenen Alters wahrnimmt.

Samstag, 3. Mai 2014

Brüder im Geiste

Wenn ich an meinen stationären Aufenthalt in Heidelberg zurückdenke, fallen mir fast ausschließlich schöne und positive Dinge ein. Natürlich war die erste Woche nicht ganz einfach, weil ich nachts kaum mehr als vier, fünf Stunden geschlafen und mich morgens dann dementsprechend großartig gefühlt habe. Aber auch für dieses Problem haben wir schließlich eine Lösung gefunden.

Ich hätte z.B. nie für möglich gehalten, dass man in einem Krankenhaus innerhalb von 16, 17 Tagen so viele nette und sympathische Menschen kennenlernen kann. Der Kontakt und der Austausch mit diesen Leuten haben mir wirklich sehr geholfen. Natürlich ist es gut, wenn man den Krankenhausalltag mit ein wenig Leben füllen kann. Aber das war gar nicht mal das Entscheidende für mich. Viel wichtiger war mir, dass all diese Menschen mit chronischen Erkrankungen leben und dass sie in ihrem Leben schon einiges durchgemacht haben. Trotzdem haben sie den Mut und die Zuversicht nicht verloren. Das zeigt mir, dass es auch für mich nur einen Weg geben kann, und zwar den nach vorne!

Klar, derzeit durchlebe ich auch Phasen, in denen es mir nicht besonders gut geht. Ich bin 31 Jahre alt und hatte mir das junge Erwachsenenalter anders vorgestellt, als dauerhaft auf Tabletten und Hilfsmittel angewiesen zu sein. Aber ich denke, es ist normal, dass es solche Phasen gibt. Wenn man sich offen und bewusst mit einer Erkrankung auseinandersetzt, sollte man alle Aspekte in seine Überlegungen miteinbeziehen, die positiven als auch die negativen. Es kommt darauf an, aus dem, was am Ende dabei herumkommt, die richtigen Schlüsse zu ziehen und den richtigen Weg zu wählen. Ich versuche immer, mir klar zu machen, dass viele andere (junge) Menschen ebenfalls krank sind und es trotzdem schaffen, etwas aus sich und ihrem Leben zu machen. Einfach aufgeben ist nicht. Wie heißt es so schön: ´Die Krankheit muss mit mir leben, nicht ich mit der Krankheit!´

Einer dieser Menschen mit einer vorbildlichen Einstellung ist Sandra. Aufgrund einer MS-Erkrankung ist sie dauerhaft auf den Rollstuhl angewiesen. Schwierig zu sagen, was ich an ihr am liebsten mag. Ich glaube, vielleicht ist es einfach ihre Art. Sie ist eine total aufgeschlossene und umgängliche Person, die über eine sehr genaue und intensive Beobachtungsgabe verfügt. Kennengelernt habe ich Sandra 2009 an der Uni. Mittlerweile arbeitet sie in Heidelberg und wäre bereit, für mich den Kontakt zu einem Mitarbeiter eines Sanitätshauses herzustellen, der sich ihrer Meinung nach sehr gut mit der Rollstuhl-Versorgung auskennt. Wie es der Zufall so wollte hat sich während meines stationären Aufenthalts herausgestellt, dass Sandras Mutter auf der Station lag, die unmittelbar an meine Station grenzte. So haben wir uns lose verabredet und ich habe mich sehr gefreut, als wir uns eines Nachmittags auf dem Gang meiner Station über den Weg gerollt sind. Wir haben uns etwas zu trinken geschnappt und uns über eine Stunde lang sehr gut unterhalten. Schade, dass wir ein Stück weit auseinander wohnen. Spätestens, wenn ich von meiner Reha zurück bin, möchte ich Sandra mal besuchen und auch den Mitarbeiter des Sanitätshauses kennenlernen.

Eine ebenso liebenswerte Person ist Sabine. Sie habe ich kennengelernt, als sie ihre Mutter auf die Station hochbrachte, auf der auch ich gelegen bin. Zunächst sind wir ein wenig ins Gespräch gekommen. Ich hatte gerade etwas Zeit und blätterte in ein paar Zeitschriften, die auf dem Gang auf einem Tisch lagen, während ihre Mutter auf die stationäre Aufnahme wartete. Ich glaube, es war noch keine Viertelstunde vergangen, als wir uns auf das ´Du´ einigten. Sabine war vor einiger Zeit selbst schwer krank gewesen und kehrte nun mit ihren Eltern auf die Station zurück, auf der sie selbst länger gelegen hatte. Als ich ihre damaligen Diagnosen erfahren habe, mit deren Folgen sie sich noch heute herumschlägt, ist mir erstmal die Kinnlade runtergefallen. Aber ich finde, sie schlägt sich hervorragend und hat genau die richtige, positive Einstellung. Was mir außerdem sehr gefallen hat ist ihre spontane und fröhliche Art. Sie hatte eigentlich immer ein Lächeln auf den Lippen und hat sich nicht ein einziges Mal über irgendetwas beklagt. Einmal saß ich nachmittags auf meinem Bett und war dabei, einen neuen Blogeintrag zu verfassen. Mit Stöpseln und Musik in den Ohren hatte ich nicht gehört, dass Sabine an unsere Tür geklopft hatte. Plötzlich stand sie vor meinem Bett. "Wir sitzen noch etwas draußen am Tisch und sind dann noch einen Moment bei meiner Mutter im Zimmer. Setz´ dich doch zu uns, wenn du magst!?" Logisch, dass ich nicht lange überlegt habe, ob ich mich anschließen möchte. Übrigens ist sie wie ich gelernte PTA, auch wenn sie inzwischen nicht mehr in der Apotheke arbeitet. Und ihre Eltern sind mindestens ebenso umgänglich und sympathisch.

Was ich bis vor kurzen nicht wusste: Ich habe noch einen Bruder. Zwar keinen weiteren leiblichen, aber einen im Geiste. Und auch er ist jemand, der mich mit seinem Optimismus und seiner Zuversicht ein Stück mitgerissen hat. Mehrad ist Anfang Zwanzig. Seine Eltern sind Iraner, die Familie lebt aber schon lange in Deutschland. Ursprünglich hat er eine Ausbildung zum Bankkaufmann absolviert, arbeitet aber schon ein paar Monate nicht mehr in diesem Job. Sein Traum ist es, Schauspieler zu werden, außerdem modelt er gerne. Ich habe ihn eines Nachmittags zufällig auf der Station getroffen. Er saß an dem Tisch, der drei oder vier Meter seitlich des großen Fernsehapparates steht, und an einem Infusionsständer hing eine Cortison-Infusion, die über einen dünnen Schlauch in eine seiner Venen lief. Wie es unter jungen Leuten meistens so ist, kommt man lose ins Gespräch. Seit zwei Jahren habe er inzwischen die Diagnose MS, erzählte er, und komme nun über drei Tage ambulant auf Station, um sich jeweils eine Infusion anhängen zu lassen. Mehrad weiß viel über seine Erkrankung und ist sich darüber bewusst, welche Verlaufsformen sie nehmen kann. Trotzdem lässt er sich davon nicht beeindrucken und ist ein absolut positiver Mensch, der mutig und unverdrossen seinen Träumen hinterherjagt. Zum Trübsal blasen ist keine Zeit. Das gefällt mir sehr an ihm! Als er mir zum ersten Mal davon erzählt hat, dass er modelt und schauspielern möchte, wusste ich nicht so recht, was ich dazu sagen sollte. Einerseits wollte ich ihm gerne etwas nettes und aufmunterndes sagen. Andererseits war und ist mir aber auch klar, wie viele junge Leute ebenfalls von einer großen Karriere träumen und wie schwer es ist, in diese Branche einzusteigen, geschweige denn dort Fuß zu fassen. Als er mir jedoch ein paar seiner Modelbilder gezeigt hat, musste ich meine Zweifel doch ein wenig überdenken. Die Aufnahmen wirkten sehr stylisch und professionell, und auf einigen Bildern haben mich seine Gesichtszüge deutlich an George Clooney und Sylvester Stallone erinnert. Was mir jedoch am besten in Erinnerung geblieben ist, ist etwas anderes. Wir hatten es von unseren Erkrankungen und waren uns mal wieder einig, dass wir trotz allem das Beste aus der Situation machen werden und dass unser Weg nur nach vorne führen kann, als Mehrad zu mir sagte: "Das sehe ich genauso. Hey man, du bist mein Bruder!" Weil ich weiß, welche Bedeutung das Wort ´Bruder´ für einen Perser hat, fühle ich mich noch immer sehr geschmeichelt.

Aber auch mit vielen anderen Menschen bin ich sehr gut ausgekommen. Insgesamt habe ich mich in der Klinik sehr gut aufgehoben gefühlt und bin den Mitarbeitern dort sehr dankbar, dass sie fachlich wie menschlich sehr qualifiziert und jederzeit ansprechbar waren. Ganz gleich, ob sie der Ärzteschaft, dem Pflegepersonal, der Physiotherapie oder dem Sozialdienst angehörten.

Gestern habe ich in Allensbach angerufen. Nachdem ich bereits seit einer Woche einen Bewilligungsbescheid der Deutschen Rentenversicherung über eine vierwöchige, stationäre Rehamaßnahme vorliegen habe, wollte ich nicht länger warten und den Stand der Dinge erfragen. Der Herr von der Belegabteilung informierte mich, dass ich auf der Liste der zeitnah aufzunehmenden Patienten geführt werde und es ca. Mitte Mai werden würde, bis man mich aufnehmen könne. Und ich käme nun doch nicht in die Klinik nach Allensbach, sondern nach Konstanz. Nunja. Eigentlich hatte die Dame des Sozialdienstes der Uniklinik Heidelberg gesagt, ich solle die Reha spätestens zwei bis drei Wochen nach der Entlassung aus der Klinik antreten. Aber gut, ich kann es nicht ändern. Und in welche Klinik ich gehe, ist mir sowieso ziemlich egal. Ich bin jedenfalls gespannt, ob mir der Aufenthalt in Konstanz ähnlich gut gefallen wird wie der in Heidelberg.

Donnerstag, 1. Mai 2014

Ein Taxi gen Himmel

Für gestern Mittag, 12:15 Uhr, hatte ich in der Praxis meiner niedergelassenen Neurologin einen Termin vereinbart. Es ging darum, die Ärztin zu informieren, wie es mir momentan geht, wie ich mit den Tabletten klarkomme und darum, zu fragen, ob ich die aktuelle Dosis steigern kann und soll. Zu meiner Überraschung habe ich erfahren, dass der vorläufige Arztbericht der Uniklinik Heidelberg noch immer nicht in der Praxis vorliegt. Was mich ziemlich gewundert hat, denn bei meiner Entlassung am 11. April habe ich als Patient ein Exemplar erhalten und dachte, drei weitere Ausführungen müssten nur noch an die drei von mir angegebenen Arztpraxen verschickt werden.

Aber gut. Der Rest des Gesprächs war eigentlich relativ unspektakulär. Das einzig erwähnenswerte ist, dass ich die Dosis der Tabletten ab heute schrittweise erhöhen soll. Bisher habe ich Pramipexol 0,18 mg im Schema 1/2 - 1/2 - 1/2 genommen. Der Plan, den ich gestern bekommen habe, sieht vor, dass ich es ab heute im Schema 1 - 1 - 1, ab dem 7. Mai im Schema 2 - 2 - 2 und ab dem 21. Mai im Schema 3 - 3 - 3 nehmen soll. Und damit ich während der Reha in Allensbach auch genug Tabletten dabei habe, hat mir meine Neurologin vorsichtshalber eine 100er-Packung verordnet. Hoffentlich vertrage ich die höheren Dosen so gut, wie ich die bislang eher niederen Dosen vertragen habe!

Bevor ich auf dem Rückweg ans Auto bin, habe ich mir in einem Ludwigshafener Einkaufszentrum noch ein Pfund Kaffee und zwei Fischsemmeln geleistet. Da ich noch nicht allzu viel Hunger hatte dachte ich mir, ich könne mein Vehikel auf dem Heimweg irgendwo abstellen und eine kurze Rast machen. Meine Wahl fiel schließlich auf den Platz, auf dem jedes Jahr im September das größte Weinfest der Welt stattfindet. Dort angekommen, fuhr ich ein paar Meter in Richtung der Platzausfahrt und stellte dann den Motor ab. Erst spät bemerkte ich, dass ca. 50 Meter links von mir ein mir gut bekanntes Flugobjekt gelandet war: ein dunkelgelber Hubschrauber mit der Aufschrift ADAC. Es konnte sich eigentlich nur um den Rettungshubschrauber Christoph 5 handeln, der an der BG-Unfallklinik in Ludwigshafen-Oggersheim stationiert ist. Scheinbar war der hiesige Notarzt bereits anderswo im Einsatz oder man hatte den Hubschrauber zusätzlich angefordert, um bspw. einen möglichst schonenden Transport eines Notfallpatienten sicherstellen zu können. Um die Maschine herum waren vier rot-weiße Hütchen aufgestellt und es war niemand zu sehen. Ich kramte eine der beiden Semmeln aus der Tüte, legte mir eine Serviette auf den Schoß und begann, die Semmel zu verzehren. Keine drei Minuten später war von irgendwoher plötzlich ein allmählich lauter werdendes Martinshorn zu hören, und kurz darauf konnte ich einen Rettungswagen (RTW) im Rückspiegel sehen. Er kam näher, hielt neben dem Hubschrauber an und einen Augenblick später wurde ein Mann auf einer Trage aus dem Fahrzeug geholt.

Bis hierhin war eigentlich nichts passiert, was man unbedingt in einem Blog veröffentlichen muss. Ein schwer erkrankter oder verunfallter Mensch wurde notfallmedizinisch versorgt und mit einem Helikopter in eine Klinik geflogen. Eine Versorgung, wie sie sich in Deutschland jedes Jahr tausende Male abspielt. Natürlich ist das ein recht spektakulärer Anblick, wenn der Pilot die Turbinen anlässt und so eine Maschine abhebt, keine Frage. Aber trotzdem ist es nicht so, dass ich etwas verpasst hätte, wenn ich nicht vor Ort gewesen wäre. Scheinbar sahen das vier ältere Herrschaften wohl etwas anders. Zwei Damen und zwei Herren. Für sie war das alles unglaublich spannend und faszinierend, was da gerade passierte. Und darum geht es mir. Deswegen schreibe ich hier darüber.

Ich sage es gleich vorweg: Sie haben niemanden bei der Arbeit behindert und sie haben auch kein Portraitfoto des Patienten geschossen. Aber muss das sein, dass man nicht mal 50 Meter vom Geschehen weg steht und glotzt, als werde gerade der erste Helikopter der Luftfahrtgeschichte in Betrieb genommen? Zunächst waren sie aus einiger Entfernung auf die Maschine zugelaufen und blieben dann stehen. Als kurz darauf der Rettungswagen vor Ort war, kamen sie noch ein Stück näher, sodass sie die Schiebetür des Christoph 5 schließlich direkt im Blick hatten. Und da die Versorgung und das Umladen des Patienten einen Augenblick dauerten, fanden sich weitere Schaulustige ein. Hinten schräg rechts auf Höhe des RTW standen ein älterer Herr und seine Begleiterin, und von vorne kam ein junger Mann angelaufen, der ein Mobiltelefon in der Hand hielt. Alle starrten gebannt geradeaus, während ich meine Semmel zu Ende kaute und überlegte, ob ich unterwegs noch etwas zu besorgen hatte. Als die Rettungskräfte den Patienten wenig später mitsamt Equipment im Helikopter untergebracht hatten und alle Türen verschlossen waren, startete der Pilot die Triebwerke. Die Rotorblätter begannen, sich immer schneller zu drehen, es wurde ziemlich laut und schließlich erhob sich das gelbe Taxi gen Himmel. Ich muss nicht erwähnen, dass der junge Mann es sich nicht nehmen ließ, währenddessen sein Telefon in die Höhe zu halten und das Spektakel zu filmen, oder?

Dem Patienten wünsche ich eine rasche und gute Besserung!