Es gibt Dinge im Leben, bei denen man davon ausgeht, dass ein erwachsener Mensch sie beherrscht. Zu diesen
Dingen gehört für mich auch die Fähigkeit, sich soweit zu vergewissern und zu orientieren, dass man in einem großen Bahnhof nur in den Fernverkehrszug steigt, den man auch gebucht hat. Gerade wenn es sich dabei um einen ICE handelt. Deshalb habe ich mich
gestern etwas gewundert, als ich in meinem Abteil Zeuge einer
Unterhaltung wurde, die ein Fahrgast mit einer Ticketkontrolleurin
der Deutschen Bahn führte.
Der ICE nach Basel hatte vor einigen
Minuten den Mannheimer Hauptbahnhof verlassen und ich saß auf dem
Fensterplatz im Wagen 1, den meine Mutter für mich gebucht hatte.
Die Schiebetür links von mir öffnete sich und ein Mann, ungefähr
45 Jahre alt, betrat das Abteil mit einem Koffer, den er hinter sich
her zog. Einen kurzen Augenblick blieb er stehen und schaute ein
wenig verwundert im Raum herum. Dann ging er ein paar Meter weiter
und sprach die Dame von der Bahn an. Er suche seinen Sitzplatz,
erklärte er ihr und hielt seinen Fahrausweis in ihre Richtung. Er
habe zwar schon nach dem Platz gesucht, könne ihn aber nicht finden.
Die Frau überflog sein Zugticket einige Sekunden und entgegnete ihm
dann: „Sie sind ja auch im falschen Zug!“ Der Mann wusste
zunächst für einen Moment nicht, was er sagen sollte. Dann fand er
die Fassung wieder und meinte: „Das verstehe ich nicht. Ich habe
doch extra nochmal geschaut!“ Das Ende vom Lied war wenig später,
dass er ein paar Euro nachzahlte und von der Kontrolleurin ein
zusätzliches Ticket mit einer neuen Verbindung ausgestellt bekam,
mit der er sein Ziel sogar eine halbe Stunde eher erreichen würde.
Was ihn in Mannheim am Bahnsteig möglicherweise irritiert hat war
die Tatsache, dass der ICE Richtung Basel, in dem er gelandet war,
normalerweise von Gleis 8 verkehrt und gestern ausnahmsweise von
Gleis 5 gefahren ist. Auch ich war mit meinem Gepäck schon die
ersten Treppenstufen zu Gleis 8 hinauf unterwegs, habe dann aber die
Hinweis-Anzeige auf dem Monitor gelesen und wieder kehrt gemacht. Andererseits wurde der Gleiswechsel aber an beiden Gleisen auf den Monitoren angezeigt und auch mehrmals von einer Ansagerin mündlich angekündigt. Insofern hätte er eigentlich bemerken müssen, dass er in den ICE nicht hätte einsteigen dürfen.
Ansonsten verlief meine Anreise absolut
störungsfrei und wie geplant. Amüsiert habe ich mich über einen
Hinweis, mit dem ein Zugbegleiter die Passagiere per
Lautsprecher-Durchsage über folgendes informierte: „Sis train do
not stop in Offenburg. Please change at Karlsruhe.“ Respekt! Das
hätte selbst Lothar Matthäus nicht besser formulieren können.
Um Punkt 15 Uhr bin ich aus dem Bus
gestiegen, der wenige Meter vor dem Haupteingang der Klinik verkehrt.
Wie es so üblich ist, führte mich mein erster Weg zur Anmeldung, wo
man mich im Verlauf der Aufnahmeprozedur um 39 € erleichterte. 10 €
habe ich als Pfand für meinen Zimmerschlüssel hinterlassen und 1 €
habe ich für das Schlüsselband gelöhnt. Die restlichen 28 €
durfte ich als sogenannte „Kurtaxe“ abdrücken, denn die Stadt
Konstanz verlangt seit dem 01.01.2011 für jeden Reha-Patienten eine
Gebühr von 2 € pro Tag. Freundlicherweise übernimmt meine Klinik
die Hälfte dieser Kosten, wodurch für mich bei 28 Tagen Aufenthalt
ein zu zahlender Restbetrag von 28 € entsteht. Vermutlich sind
die allermeisten Patienten nicht sonderlich begeistert, wenn sie bei
ihrer Anmeldung gleich zur Kasse gebeten werden. Man muss aber
fairerweise dazu sagen, dass man als Gegenleistung zur Kurtaxe das
Busnetz der Stadt gratis nutzen darf und bei zahlreichen
Einrichtungen und Veranstaltungen eine Ermäßigung erhält. Und weil
ich nicht immer gut zu Fuß unterwegs bin freue ich mich darüber,
dass ich nicht jedes Mal 2,30 € zu zahlen habe, wenn ich mit dem
Bus Richtung Hauptbahnhof oder zurück zur Klinik fahren möchte.
An Programm war für den ersten Tag gestern noch
nichts für mich angesetzt worden. Ich bekam von einer Schwester ein paar
Informationen zur Station und zu den Abläufen im Haus und wurde von
der Stationsärztin zur Aufnahmeuntersuchung einbestellt. Soweit ich
das bisher beurteilen kann, sind die Mitarbeiter sehr nett und
hilfsbereit und bei Fragen jederzeit ansprechbar. Allerdings gibt es
auch Dinge, die mir negativ aufgefallen sind und über die ich mich
etwas wundere. So ist z.B. mein Bett etwas kurz und schmal geraten.
Offenbar hat man sich bei der Ausstattung der Zimmer nicht allzu
viele Gedanken darüber gemacht, dass es Patienten geben soll, die
größer als 1,75 Meter sind. Wenn man sich nachts zu sehr bewegt
oder dreht könnte es passieren, dass man eine Etage tiefer
weiterschläft und am nächsten Morgen etwas gegen Kopfschmerzen
braucht. Und was mir besonders aufstößt ist das Fehlen einer
WLAN-Verbindung auf meinem Zimmer. Wer im Internet unterwegs sein
möchte, muss den Laptop, das Smartphone oder was auch immer
einpacken und sich draußen im Flur an einen Tisch setzen, der sich
möglichst in der Nähe der Internetstation befindet, die sich dort
irgendwo befindet. Auf den Zimmern gibt es kein Netz. Da die Klinik über einen sehr guten Ruf in der Fachwelt
verfügt wundert es mich schon, dass man den Patienten diesen
Service nicht zur Verfügung stellt. Dazu kommt, dass in den Fluren
gut sichtbare Hinweistafeln angebracht sind, man möge sich ab 23 Uhr nur noch in seinem Zimmer aufhalten. Wer sich (wie
ich bspw.) lieber im Internet aufhält, als in seinem Zimmer vor dem
Flimmerkasten zu sitzen, sollte sich seine Tour durch das weltweite
Netz so einteilen, dass er spätestens um 23 Uhr sein Surfbrett
wieder einpacken kann.
Es gibt aber auch Dinge, die mir hier
gut gefallen. So liegt die Klinik z.B. direkt am Bodensee. Vom
Speisesaal hat man einen schönen Blick auf die Wasserfläche und bis
runter zum Ufer sind es nur ein paar Schritte. Die Innenstadt ist
über eine Buslinie vor dem Haus gut und zeitnah erreichbar.
Innerhalb des Gebäudes sind die Wege recht kurz und die einzelnen
Therapiebereiche gut zu finden. Bisher hatte ich nur mit einigen
wenigen anderen Patienten Kontakt. Aber das lockere
zwischenmenschliche Klima erleichtert den Neuankömmlingen die
Eingewöhnung im Haus. Fast jeder, mit dem ich bisher ins Gespräch
kam, hat mir nach max. fünf Minuten das „Du“ angeboten. Ich finde
es aber schon krass, wegen welchen anderen Erkrankungen die Leute
teilweise hier zur Reha anreisen. Ein Mitpatient hat mir erzählt, er sei
dabei gewesen, in einer Unterführung Neonröhren auszutauschen, als
er plötzlich von der Leiter gefallen und mit dem Kopf auf dem
Betonboden aufgeschlagen sei. Zumindest hätte man es ihm später so
erzählt. Als Folge dieses Unfalls habe er ein
Schädel-Hirn-Trauma erlitten und sei einige Zeit im Koma gelegen.
Da bin ich doch froh, dass sich mein Morbus Parkinson langsam und
allmählich bei mir ausgebreitet hat und nicht die Folge eines Unfalls
gewesen ist!
Im Verlauf des Vor- und des
Nachmittages standen die ersten drei, vier Termine auf meinem
Therapieplan. Richtig interessant war es aber noch nirgendwo, weil
ich mich überall erst einmal vorgestellt und angemeldet habe. So
z.B. um 13 Uhr für den Sport. Als Gruppen, in die er mich wegen
meines Krankheitsbildes eintragen wird, nannte mir der freundliche
Klinikmitarbeiter die Dehngruppe und die Rückenschule. Außerdem
soll ich wohl auch auf dem Laufband trainieren und bei den Wasserübungen
mitmachen. Bevor ich mich beim Sport angemeldet habe war ich mir
etwas unsicher, ob ich gleich meine Sporthose und die Sportschuhe
anziehen und unten in der kleinen Sporthalle womöglich gleich bei
den ersten Übungen mitmachen soll. Denn da ich vorher gerade beim
Mittagessen gewesen war, wäre das keine so gute Idee gewesen. Aber
man hat mich noch verschont. Ich habe lediglich erklären müssen,
weswegen ich als Patient hier bin und wo meine Defizite liegen. Ganz
nach dem Motto: ´Ein voller Bauch tut´s heute auch.´ Dafür geht
es morgen Früh gleich gut los. Um 9:00 Uhr steht die Wassergymnastik
und um 10:15 Uhr die Gleichgewichtsgruppe auf dem Programm.
Nicht auf meinem Plan stand der
spontane Besuch der Kontinenzberaterin, die um 14:15 Uhr bei mir in
der Tür stand. Wir haben heute noch nicht ausführlich miteinander
gesprochen und die nächsten Tage wird sie nicht da sein. Somit
werden wir uns irgendwann in der Zeit zwischen Donnerstag und Samstag
nächster Woche sehen. Was sie aber heute schon sagen konnte war,
dass die Arzneimittel, die bei einer Harninkontinenz sonst zum
Einsatz kommen können, bei Parkinson-Patienten kaum
wirksam sind. Ich vermute mal, dass das mit den pathophysiologischen
Veränderungen zusammenhängt, die beim Morbus Parkinson auftreten
können. Es scheint bei dieser Erkrankung tatsächlich so zu sein,
wie es mir bereits vom Assistenzarzt der Neurourologie in
Heidelberg-Schlierbach prophezeit worden war: „Dein Problem wird
sich im Laufe der Zeit eher verschlechtern als verbessern.“
Trotzdem hat es mich gefreut, dass die Schwester, die mich gestern
von Seiten der Pflege aufgenommen hat, mein Einverständnis zu ihrem
Vorschlag, ich könne mich beraten lassen, so zügig an die
zuständige Stelle weitergegeben hat und ich sicher sein kann, dass
man wieder auf mich zukommen wird.
Als letzter Programmpunkt stand für
15:00 Uhr die Anmeldung bei der Physiotherapie in meinem Plan. Zu
meinem Erstaunen möchte die Therapeutin, die mich betreut, gar nicht
mal so besonders viele klassische Übungen mit mir machen. Sie wird
mich in die Rolligruppe einschreiben, damit ich in der nächsten Zeit
lerne, sicher und kräftesparend im Rollstuhl unterwegs zu sein.
Außerdem hat auch sie mir das Laufband als mögliches
Ausdauertraining vorgeschlagen.
Ich werde die Inhalte der einzelnen
Therapien und Kurse ganz entspannt auf mich zukommen lassen. Dem
zufolge, was andere Patienten über ihre Anwendungen erzählen,
machen die Therapeuten einen ordentlichen Job. Und obwohl ich noch
immer hin und her überlege, ob eine Reha-Maßnahme wirklich die
beste und am ehesten angezeigte Lösung für mich war, muss ich
sagen, dass ich von der Professionalität und der Zuverlässigkeit
der Mitarbeiter hier im Haus bisher einen sehr ordentlichen Eindruck
habe.