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Samstag, 5. Juli 2014

99 Rampen und ein Gentleman

Am letzten Freitag habe ich mit den Damen, mit denen ich regelmäßig Rummikub gespielt habe, einen tollen Nachmittag in Konstanz verlebt, an dessen Ende wir die Bekanntschaft eines wahren Gentlemans gemacht haben. Aber der Reihe nach.

Nach der Wassergymnastik habe ich Andrea auf dem Flur unserer Etage getroffen. Sie erzählte mir, dass sie später mit Ruth und Melanie in die Stadt fahren würde und fragte mich spontan, ob ich nicht Lust hätte, die Damen zu begleiten. Da für den Rest des Tages keine Anwendungen mehr bei mir anstanden und ich mir noch nichts vorgenommen hatte, habe ich mich gerne angeschlossen.

Gegen halb Vier nahmen wir den Bus, der direkt vor der Klinik verkehrt, und waren innerhalb weniger Minuten am Bahnhof im Stadtzentrum, von wo aus wir gemütlich in die Fußgängerzone schlenderten. Nachdem es uns in einen Laden für Seifen und Parfums, einen Drogeriemarkt und ein, zwei weitere Geschäfte gezogen hatte teilten wir uns vor einem größeren Kaufhaus auf. Meine Begleiterinnen zog es in die Sportabteilung des Kaufhauses, während ich eine kleine, aber feine Weinhandlung direkt gegenüber besuchte. Da dort neben diversen Weinen und Schaumweinen auch Essig, Öle, Gewürze, Senf und andere Leckereien angeboten wurden ließ ich mir die Gelegenheit nicht entgehen und erstand einige Geburtstagspräsente und Mitbringsel für meine Lieben daheim.

Nach meinem Einkauf traf ich den Rest der Gruppe wieder. Wir hatten geplant, uns vor der Rückfahrt in die Klinik noch ein nettes Café zu suchen und uns dort einen Cappuccino und ein Stück Kuchen zu gönnen. Das erste Café, bei dem wir einen freien Tisch entdeckten, lag in unmittelbarer Nähe der Weinhandlung. Allerdings hätten wir uns an anderen Tischen und Stühlen vorbeischlängeln müssen, um zu dem Tisch zu gelangen, was mit Andreas Rolli nicht machbar gewesen wäre. Das zweite Café lag recht idyllisch in einem kleinen Hof. Doch obwohl der Rolli knapp durch eine vorhandene Tür passte und Andrea eine Schwelle gekonnt zu Fuß bewältigte scheiterte es letzten Endes daran, dass es keinen Kuchen mehr gab. Beim dritten Café hatten wir schließlich Erfolg. Zwei freundliche Herren waren so nett, uns einen großen Teil ihres Tisches zur Verfügung zu stellen. Als sich einer der beiden wenig später verabschiedete dauerte es nicht lange, bis wir mit dem verbliebenen Herrn ins Gespräch kamen. Weil wir uns über unsere Klinik unterhalten hatten war ihm schnell klar, dass wir alle zur Reha in Konstanz sind. Er erzählte uns, dass er selbst auch an MS erkrankt sei und zwei- bis dreimal die Woche zur ambulanten Behandlung in die Klinik käme. In der Folge entstand eine sehr nette und angeregte Unterhaltung, während der sich unsere Tassen schlückchenweise leerten. Doch da wir uns vorgenommen hatten, rechtzeitig zum Abendessen wieder in der Klinik zu sein, vereinbarten wir, demnächst zu zahlen und allmählich aufzubrechen. Ein paar Augenblicke später hatten sich diese beiden Vorhaben jedoch wieder erledigt. Zu zahlen gab es nichts mehr. Denn unser Gesprächspartner verkündete plötzlich, wir seien eingeladen und unsere Cappuccino gingen auf ihn. Er winkte eine der Bedienungen heran und erklärte ihr auf italienisch, dass er die Getränke an diesem Tisch zahlen würde. Ich wusste nicht, wie es meinen Begleiterinnen gerade erging. Ich für meinen Teil war zunächst etwas perplex ob der überaus netten Geste dieses Gentlemans und habe mich dann artig bedankt. Auch die anvisierte Rückfahrt in die Klinik mit dem nächsten Bus hatte sich erübrigt, da unsere Linie 5 ein paar Meter weiter gerade an uns vorbei fuhr und definitiv nicht mehr zu erreichen war.

In 20 Minuten bot sich die nächste Gelegenheit, pünktlich an der Bushaltestelle zu sein. Bis dahin lehnten wir uns wieder in unsere Stühle zurück und nahmen das Gespräch mit dem netten Herrn wieder auf. Wir erzählten ihm von unseren ersten beiden erfolglosen Versuchen, uns ein Café zu suchen, worauf unser Gegenüber mit der nächsten Überraschung aufwartete. Denn wir hatten es mit dem offiziellen Behindertenbeauftragten der Stadt Konstanz zu tun der uns anbot, das `Sie´ gegen das ´Du´ und ´Stephan´ einzutauschen. Na das passte ja! Drei Damen und der Kümmelspalter berichteten von ihren Erlebnissen in der Konstanzer Innenstadt und bekamen aktuelle Infos aus erster Hand, was der Herr in Amt und Würden für Menschen mit Behinderungen in Konstanz bereits erreicht hat und wo seiner Meinung nach noch Verbesserungspotential vorhanden ist.

Darüber hinaus ist Stephan Initiator des Projekts "99 Rampen". Im Flyer zu diesem Projekt, der auch im Eingangsbereich unserer Klinik ausliegt, heißt es unter anderem:

"Es soll für die Bedürfnisse von Menschen mit Mobilitätseinschränkungen und Behinderungen jeglicher Art, welche sich im öffentlichen Raum bewegen, sensibilisieren. Etawige Missstände sollen erkannt und mit einfachen Mitteln verbessert werden.

Die Teilnahme am Projekt ist freiwillig und wird mit einem Gütesiegel versehen."

Und weiter:

"Informations- und Leitsystem

Die Stadtverwaltung Konstanz entwickelt in Kooperation mit vielen Beteiligten ein umfassendes Informations- und Leitsystem für Menschen mit Behinderungen jeglicher Art. Es entstehen ein Internet-Portal, eine gedruckte Broschüre und ein physisches Leitsystem.

Das neue Konstanzer Gütesiegel wird Teil des Leitsystems sein und auf Hilfestellungen für Menschen mit Behinderungen jeglicher Art hinweisen."

Mehr Infos zum Projekt gibt es unter

https://www.facebook.com/99rampen
http://www.konstanz.de/soziales/00630/00703/index.html
http://www.konstanz.de/soziales/00630/00703/05959/index.html

Wir haben uns noch ein wenig unterhalten und sind dann mit dem Bus zur Klinik zurückgefahren, wo wir noch rechtzeitig genug ankamen, um uns im Speisesaal ein schnelles Abendessen zu genehmigen. Ich muss zugeben, dass mich Stephan mit seinem Projekt ziemlich beeindruckt hat. Seine Idee gefällt mir sehr und ich finde es absolut vorbildlich und lobenswert, sich mit so viel Überzeugung und Tatendrang für andere einzusetzen!